Militärischer und Hospitalischer Orden des Heiligen Lazarus von Jerusalem Großpriorat Ostarrichi – Malta
Militärischer und Hospitalischer Orden des Heiligen Lazarus von Jerusalem Großpriorat Ostarrichi – Malta
September 2017
SCHRIFT~Lectio Römer 3, 19-21 und weiterführend 22-24
Liebe Schwestern und Brüder in CHRISTO!
Richter = die gewiß auch ’nur‘ fehlbare Menschen sind = sprechen hie und da
seltsame Urteile. In Österreich hat es kürzlich einen berechtigten Aufreger
gegeben: ein mehrfacher ‚Kindafazara‘ (H. C. Artmann grüßt von seiner Wolke)
hat vor Gericht eine wesentlich mildere Strafe ausgefaßt als ein kleinkrimineller
Gelegenheits-Kreditkartenbetackler. Diese causa legt die = hoffentlich voreilige =
Mutmaßung nah, daß in unserer Gesellschaft das Geldeigentum höher bewertet
wird als die seelische und körperliche Unversehrtheit von Menschen, insonderheit
von Kindern. Weiters: die Begebenheit regt uns an, darüber nachzudenken, was
aus christlicher respective philosophischer Sicht Recht, Gesetz und Gerechtigkeit
sind. = Gerechtigkeit, δικαιοσύνη, gehört bei Platon (sh. Politeía) zu den vier
Cardinaltugenden. Doch der große Denker selbst gibt auf seine eigene berühmte
Frage ‚Was ist die Gerechtigkeit‘ eine offene Antwort, wohl wissend, daß
einerseits jeder Rechtskreis eine separate Definition dieser Tugend liefert,
anderseits eine absolute, vollständige Gerechtigkeit nicht verwirklichbar ist.
Mein berühmter Professor Jan Maurits Broekman und ich, sein devoter élève,
haben in einer Akademischen Sitzung folgende Antwort erstellt: „Gerechtigkeit
ist, in gleichen Sachen gleich und in ungleichen Sachen ungleich zu entscheiden“.
Das ist in principio recht brauchbar… aber was die Praxis angeht: gibt es denn
zwei causae, die völlig gleich sind… = Wir wissen, daß jedes Ereignis als Wirkung
einer Ursache aufgefaßt wird; die Ursache wiederum hat auch ihren Beweggrund,
dessen Wirkung sie ist… undsoweiter, zurück bis zum Anfang der Welt. Dieses
principium nennen wir die Causalität. Doch zwei völlig gleiche Causalreihen
gibt es mit Sicherheit nicht, demnach gibt es auch keine zwei absolut gleichen,
vom Richter zu beurteilenden Letzt-Wirkungen, denn selbst wenn sie, für
sich als Momentaufnahmen gesehn, differenzstad ausschaun, sind sie die
Folgen zwei unterschiedlicher Ursachenreihen – also wären sie ‚gerechterweis‘
unterschiedlich zu würdigen. Gleichwohl: dies ist in der Praxis kaum machbar.
Daher gilt in der Strafrechtsfindung das Aequivalenztheorem: sämtliche Glieder
der Causalitätsabfolge werden jeweils als den andern gleichwertig aufgefaßt,
und nur der greifbarste Grund wird beim Urteilsspruch berücksichtigt. Wär dem
nicht so, sollte man für jede Straftat die Ursachenreihe reconstruieren (warum
hat der Täter gestohlen… weil er mittellos ist; warum ist er arm… weil er arbeitslos
ist… warum ist er hacknstad… weil sein ehemaliger Scheef ein seelenloser
Schinder ist, der ihn gefeuert hat… undsoweiter undsofort) und bis Adam und
Eva zurückgehn = ein langwieriges und meist unpraktikables Unterfangen.
Und, liebe Freunde… kann denn jemand, der alle, wirklich alle Beweggründe,
definitiv ab Adam und Eva, kennt und nachvollzieht, jemanden verurteilen?
Ich denk an die Kurzgeschichte des Schriftstellers Karel Čapek (1890-1938)
titels ‚Das Jüngste Gericht‘. Ein Mensch, in seinem Erdenleben Schwerverbrecher
gewesen, steht vor seinen Himmlischen Richtern, die aber ebenso Menschen sind,
und zwar solche, die auf Erden auch Richter waren. Der HERR wird als Zeuge
geladen. Zum Schluß will der Angeklagte wissen, warum der ALLMÄCHTIGE
nicht höchstselbst der Gerichtspräsident ist. Der HERR erwidert sinngemäß:
„Ich kann niemanden verurteilen, denn ich weiß alles“. Diesem Gedanken
verwandt ist der berühmte Sager der Madame de Staël: Tout comprendre
c’est tout pardonner. = Die classische Christliche Theologie redet vom
‚Dreifachen Brauch des Gesetzes‘. Da ist zunächst der usus politicus, die
Creation und Anwendung der Rechtsvorschriften seitens der Obrigkeit zur
(grob vereinfacht gesagt:) Règlementierung der Untertanen. Weiters der
usus elenchticus, auch usus paedagogicus genannt, in Anlehnung an Römer
3, 20: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“; das heißt: die
Rechtsvorschrift ist dazu da, daß der noch schwankende Mensch lernt,
was verwerflich und was redlich ist. Und schließlich kommt der usus in
renatis, wörtlich: der Brauch in den Wiedergeborenen, das ist das Empfinden
in den Seelen der reifen, aufrechten Christenmenschen, die von sich aus, ohne
Gesetzbuch und Gericht wissen, was sie zu tun haben zur Ehre GOTTES und
zum Wohl der Mitmenschen. Diese Lebenshaltung, die ich Einsichts~Autonomie
genannt habe, mög das durchaus erreichbare Ziel eines jeden Christen sein.
CHRISTUS spricht: ME OPORTET OPERARI OPERA EIVS QVI MISIT ME (Joh 9, 4)
MIR OBLIEGT ZU WIRKEN DIE WERKE DESSEN, DER MICH GESANDT HAT.
Ich wünsch uns allen einen goldernen Herbst mit Sturm und Wein.
Amen.
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