Militärischer und Hospitalischer Orden des Heiligen Lazarus von Jerusalem Großpriorat Ostarrichi – Malta

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Milizgütesiegel

November 2017

SCHRIFT~Lectio Lucas 19, 12=27

Liebe Schwestern und Brüder in CHRISTO!

Ihr seht’s richtig: Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten ist in der
HEILIGEN SCHRIFT zweimal aufgezeichnet; im October haben wir die Fassung
nach Sanct Matthaeus gelesen, diesmal schlagen wir die Erzählung nach Sanct
Lucas auf. Voriges Monat haben wir die Scheinschwierigkeiten des Gleichnisses praktisch=theologisch aufgelöst, diesmal denken wir über die wirkliche
Schwere dieser Geschichte nach. Ich benenn sie offen und deutlich: Was ist
dann, wenn jemand seine vom HERRN anvertrauten Gaben mit Freuden, Kraft
und Einsatzbereitschaft fruchten lassen will, aber die Menschen, die ihn
umgeben, ihn systematisch und methodisch daran hindern. Wir sehn solches
recht oft… und ich bin bekanntlich nicht der weltentrückte Stubengelehrte, der
an der täglichen Erfahrung naiv vorbeischreibt und der (zumindest probierten)
Beantwortung solch schwieriger quaestiones aufgrund einer verklärten, goldernen
Sichtweise oder schier der Bequemlichkeit zulieb aus dem Weg geht. = Ich
hab in meiner abenteuerlichen ersten Daseinshälfte eine Reihe von Menschen
gekannt, die recht begabt, ja, mindestens so talentiert wie die sogenannten
Arrivierten waren und gern politische, künstlerische oder universitäre
Carrière belaufen wollten… doch die tonangebenden Établierten haben sie mit
Fleiß nicht gelassen. = Über dies Phaenomen ist speciell im Themabereich des
staatslenkerischen Aufstiegs einiges (wenn auch nicht vieles, denn es ist ein
recht heißes Eisen) mit akademischem Anspruch geschrieben worden, etwa
von meinen Gelehrten=Collegen Erwin K. Scheuch (1928-2003) und Joachim
Becker (*1942), weiters (wie könnt’s anders sein…) auch von mir. Begabte,
jedoch nonconformistische Individualisten sind oft unerwünscht in einem System,
welches von der Mittelmäßigkeit getragen und beherrscht wird. Seine Lenker,
selbst in der aurea (!) mediocritas verhaftet, sind meist gegen kluge, kritische
Menschen, denn sie haben Federn davor, von diesen den Spiegel vorgehalten
zu bekommen und danach in den Schatten gestellt zu werden. Was also das
politische Vorwärtskommen angeht: „Charismatische Persönlichkeiten werden
in diesem System schon auf lokaler Ebene abgefangen“ [Scheuch]. Die strikte
Freinderlwirtschaft (deren Ausmaße gewiß breiter sind, als dies der Öffentlichkeit
jemals bewußt werden kann) in der Parteien bestimmt, wer protegiert wird.
So fragt Becker wohl zu Recht: „Kann in oberste Gerichte nur noch derjenige
aufsteigen, der im Auftrag etablierter Parteien Plakate geklebt und Wahlkampf
gemacht hat?“ = Gradeben haben wir den Begriff der ‚Protection‘ gestreift.
Ämterpatronage hat es im Historischen Zeitalter schon immer gegeben, und
ich tendier zum Urteil, daß es anders nicht geht. Von mir aus schön und gut…
gleichwohl hab ich in einem politologischen Aufsatz, ganz im Sinn der wirklichen
Schwere (siehe oben) im Gleichnis von den anvertrauten Talenten, den Gegenbegriff
dazu kreiert: die Retection. Das bedeutet: es genügt nicht, daß ein begabter wie
auch freimütiger Mensch, der halt nicht ‚protectorenconform‘ ist, nicht gefördert
wird, er wird sogar unsanft zurückgedrängt, wenn er es versucht, ohne Protection
weiterzukommen. „Es ist nicht ratsam, einen Aufstieg in die Führungspositionen
im Alleingang zu versuchen“ [Scheuch]. Weitblick, Humor, Individualität, Scharfsinn,
ja sogar Charisma und gediegene Belesenheit sind heut eher hinderlich für eine
Carrière. „Wichtiger als Sachkompetenz sind kommunikative Kompetenz und
Anpassung an den Zeitgeist“ [Scheuch]; wichtiger… gewiß für einen Protector, der
niemanden fördern will, der vorgestanzte Ansichten skeptisch zu überdenken wagt.
Nach soviel Packelei-Kritik in politisch bewegten Zeiten seien wir wieder theologisch.
Was ist nun mit all den Zurückgedrängten = in der Staatslenkung, in der Kunst,
im Hochschulwesen, die ihre Gaben nicht angemessen fruchten lassen dürfen…
Sind sie strafwürdig, wie des Gleichnisses „übler und träger Knecht“ (Mt 25, 26)…
Ist es kein Paradoxon, daß sie Talente empfangen haben, ohne sie nützen zu können…
Wie herum gilt denn nun das HEILIGE WORT unsres HERRN von den anvertrauten
Talenten… Sind da nicht eher die anvertrauten Ämter gemeint… Oder haben wir das
Ganze nicht richtig verstanden… Nächstes Monat probieren wir diese, wie ich meine,
schwierigste Stelle des Evangeliums zu erhellen. Bis dahin wünsch ich uns allen ein
gesegnetes, fröhliches Fest Sanct Nicolo und rufe den künftigen Staatslenkern
Österreichs wie auch aller Länder dies HEILIGE WORT ins Gedächtnis:

CHRISTUS SPRICHT (Mt 5, 16) :
SIC LUCEAT LUX VESTRA CORAM HOMINIBUS UT VIDEANT VESTRA BONA OPERA
Also möge euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehn

Amen.