Militärischer und Hospitalischer Orden des Heiligen Lazarus von Jerusalem Großpriorat Ostarrichi – Malta
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September 2018
SCHRIFT~Lectio Offenbarung 10, Verse 5 bis 7
Liebe Schwestern und Brüder in CHRISTO!
Nach der im Juli und August erfolgten Darlegung der ersten beiden Schwierigkeiten
der Geschichtsschreibung, nämlich der Subiectivität und Tendenziösität einerseits
respective der Selectivität und Bruchstückhaftigkeit anderseits mögen wir nun
abschließend über deren dritte Tücke nachdenken: die tagesactuelle Limitation.
Die ersten zwei können mit hinlänglich Disciplin, Fachcompetenz und Geschicklichkeit,
wenn auch net vermieden, aber abgemildert werden; gegen diese dritte jedoch
vermögen wir nichts zu tun, wir müssen sie hinnehmen. Geschichte kann nur bis
zum actuellen Datum, bis zum jeweiligen ‚Heute‘, geschrieben werden und nicht
weiter. Dieser Umstand zeitigt die irrige Annahme oder das gewohnheitsmäßige
Denken, daß die gänzliche Causalitätsabfolge von der Anfängen an, die nahzu endlose
Reihe von Ursachen und Wirkungen den actuellen Stand der Jetzt=Zeit als absoluten
End-effectus, als letzte Wirkung hat. In der uns bekannten Wirklichkeit ist es aber so
~ selbstredend unter stetem Vorbehalt des Eingreifens seitens des ALLMÄCHTIGEN ~ ,
daß die gesamte bisherige Weltgeschichte [ob aufgeschrieben oder nicht, ob richtig
ausgelegt oder nicht] die zugleich blockartige wie fließende Riesen=Ursache für die
complette Zukunft ist. {Auf die alte theologische Streit=quaestio, ob es analog zum
Weltanfang ein Weltende, einen Abschluß allen Geschehens geben wird, geh ich hier
net ein, zumal dies stark in den Bereich des Speculativen schlägt.} Deswegen können
wir nicht wissen, ob das, was momentan in der Welt passiert, gut oder schlecht sei.
Ein [in Grenzen] unbefangenes Urteil hierüber ist erst weit nachträglich aussagbar
= akademische Geschichtsschreibung ist nicht bloßes Berichten, vielmehr auch
Kritik =, nämlich dann, in ferner Zukunft, wenn der Historiograph wissen wird, was
für eine Gesamtwirkung die Begebenheiten der von uns aus gesehnen Jetzt=Zeit
verursacht haben. Und dieser Vorgang setzt sich fort, entweder als progressus ad
infinitum oder aber „bis an der Welt Ende“. Zwei einleuchtende exempla. Als
Heinrich Matthias Graf v. Thurn und seine Cameraden am 23. Mai 1618 [wieder ein
Gedenken: vierhundert Jahr‘ ist’s her] in Prag die beiden Königlichen Statthalter und
den Cantzley=Secretair beim Fenster ’nausgeworfen haben, da hat bestimmt keiner
vermerkt: ‚Hiermit fangen wir heut den Dreißigjährigen Krieg an‘. Und weiters:
Als Professor Christian Griepenkerl im October 1907 dem Candidaten Adolf H. aus
Braunau die Aufnahme in die Wiener Akademie der Bildenden Künste mit den
berüchtigten vier Worten ‚Probez.[eichnung] ungenügend. Wenig Köpfe.‘ verwehrt
hat, konnt er net wissen, daß es für die Weltgeschichte viel besser gewesen wär,
den Aspirierenden zum friedlichen, beschaulichen Malerkünstler auszubilden. =
Mehrere Philosophen haben die Frage aufgeworfen: ‚Warum können wir uns nur der
Vergangenheit entsinnen und nicht auch der Zukunft…‘. Diese, wenn wir darüber
nachdenken, gar net so selbstverständliche Einschränkung unsrer menschlichen
Mentalcompetenz wird auf Anregung von Sir Arthur Stanley Eddington (1882-1944)
der Psychologische Zeitpfeil genannt. Der HERR hat uns so erschaffen: unsere
Kenntnis der Weltläufte ist eine Einbahnstraße in die rückwärtige Richtung…
und es ist sehr schwer zu beantworten, ob das gut wär, wenn wir Menschen das
Wissen des ALLMÄCHTIGEN über die Zukunft besäßen… ich kann hier nur anregen,
hierüber still nachzusinnen. = Der Modephilosoph der Zwanziger des vorigen
Jahrhunderts, Oswald Spengler (1880-1936) hat sich hierüber hinwegsetzen wollen: „In
diesem Buch wird zum ersten Male der Versuch gewagt, Geschichte vorauszubestimmen“
… und hat auf den „Untergang des Abendlandes“ respective auf eine Geschichtliche
Cyklentheorie mit circa tausendjährigen Perioden geschlossen. Ich denk und hoff net,
daß er recht hat. = Eine weitere, schräg anmutende philosophische Aussage ist, daß
wir die Existenz der Vergangenheit mit keinem logischen Mittel beweisen können. Wir
wissen darüber nur aus Berichten [die phantasmata sein können… und es oft auch sind]
oder aus dem Gedächtnis, das wiederum eine Ansammlung subiectiver Wahrnehmungen
ist; vergleichts hierzu etwa den Immaterialismus bei Bischof George Berkeley (1685-1753).
Auf die Spitze getrieben: es ist gar vorstellbar, daß die Weltgeschichte gradeben begonnen
hat, m i t den Berichten, Fossilien und Museumsobiecten aus einer ‚Vergangenheit‘ drin.
Da fallen mir die kunstvollen Schlußworte der Philosophischen Vers~Komödie ‚Das Leben
ist Traum‚ von Don Pedro Calderón de la Barca y Barreda González (1600-1681) ein:
¿Qué es la vida? Una ilusión,
una sombra, una ficción,
y el mayor bien es pequeño:
que toda la vida es sueño.
In meiner hoffentlich angemessenen. seelenverwandten Übertragung:
Was ist das Leben? Bloß Illusion,
Nur ein Schatten, eine Fiction,
Und das größte Wohl ist eitler Schaum,
Denn das ganze Leben ~ ist ein Traum.
Traum oder exacte Ereignisabfolge… ich denk, unser Leben ist beides, denn wir sind
Seelenwesen und Verstandswesen zugleich. Einer der schönsten Sager, den ich kenn,
ist von meinem unvergessenen Malerkunst~Professor Martin Berta:
„Wir sollen nicht unser Leben träumen sondern unsre Träume leben“.
Und dies, liebe Freunde, stets im Vertrauen auf den HERRN.
CHRISTUS spricht [Mt 28, 20b]:
ECCE EGO VOBISCVM SVM OMNIBVS DIEBVS VSQVE AD CONSVMMATIONEM SAECVLI
Schaut, ich bin mit euch alle Tage bis zum Abschluß der Zeitlichkeit.
Gesegneten Spätsommer, gesegneten goldernen Herbst mit Sturm und Wein!
Amen.
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